Die Arbeit verfolgt das Ziel, Beiträge zu einer Fotografiegeschichte der DDR zu leisten. Angesichts dieses Anliegens ist die genauere Bezeichnung, welche Art von Fotografie hier betrachtet und untersucht werden soll, notwendig. Das dominierende Thema soll der Blick auf Werke sein, die für die Kunstgeschichte der Fotografie in der DDR stehen. Von Interesse ist vor allem Fotografie als Bildkunst. Einige Kernfragen lauten: Wie hat sich die bildmäßige, künstlerische Fotografie von 1945 bis 1989 entwickelt? Wie wurde künstlerische Fotografie gesellschaftlich verwertet, publiziert, gesammelt, ausgestellt? Was ist aus den bürgerlich-humanistischen, kunstorientierten Traditionslinien geworden? In welcher spezifischen Weise haben sich Fotografen der Realität gestellt? Wie stellte sich das Verhältnis zwischen Fotograf und Auftraggeber im »real existierenden Sozialismus« dar? Dabei steht die offizielle Kunst im Mittelpunkt. Nicht alles, was Fotografen auf dem Territorium der DDR geschaffen haben, ist für diese Untersuchung interessant. Berücksichtigt werden soll künstlerische Fotografie, die eine gewisse Öffentlichkeit erreichte, also in repräsentativen Ausstellungen gezeigt, in Zeitschriften publiziert, in Bildbänden ge, in Museen und Galerien gesammelt oder von der Kunstwissenschaft beachtet wurde. Dies stellt kein mangelndes Qualitätszeugnis für unberücksichtigte Fotokünstler dar, in manchen Archiv werden sicher noch wertvolle Entdeckungen zu machen sein. Mir geht es jedoch um die Kunst in einem festgefügten gesellschaftlichen Zusammenhang, um das Verhältnis von politischer Herrschaft und Entwicklung von Fotografie als Teil der Kultur, um das DDR-Spezifische. Obwohl in den letzten Jahren eine Erarbeitung der Fotografiegeschichte der DDR durch kunstwissenschaftliche Publikationen, Forschungen und Ausstellungen systematische Fortschritte machte, so bleiben immer noch »weiße Flecken«. Ein Forschungsdefizit in diesem Bereich rührt nicht zuletzt daher, dass in der DDR die Beschäftigung mit dem Thema künstlerische Fotografie erst spät in den 80er Jahren einsetzte. Neben dem erkennbar gewordenen Forschungsdefizit in der DDR ergibt sich die Notwendigkeit einer neuen Sicht auch aus Gründen veränderter gesellschaftlicher Realität. Mit dem Fall der Mauer war das Ende der DDR als sozialistische Utopie praktisch besiegelt. Eine Fotografiegeschichte muss meiner Meinung nach auch das Umfeld einer von Propaganda und Demagogie beherrschten Medienlandschaft berücksichtigen – dies kritisch aufzuarbeiten wäre in dem repressiven System DDR auf heftige Schwierikeiten gestoßen. Aus dieser Sichtweise leitet sich ab, dass ich keine »reine«, nur werkorientierte Fotografiegeschichte anstrebe, sondern einen mediengeschichtlichen Ansatz wähle, der die gesellschaftlichen und kuturpolitischen Hintergründe des fotografischen Schaffens berücksichtigt. Es soll aber keine Geschichte in Bildern dargestellt werden, sondern die Geschichte der Bilder. Das Auffinden und Auswerten von Originalliteratur, damit sind »Ausgrabungen« in Zeitschriften, Katalogen und Ähnliches gemeint, stellt die wichtigste Untersuchungsmethode dar. In diesem Zusammenhang erweist es sich als Vorteil, dass ich in der DDR aufgewachsen bin (Jahrgang 1963). In der Kommentierung von Arbeiten, die in der DDR entstanden, erscheinen mir teilweise Erläuterungen notwendig. Ich meine damit das Einbeziehen von »Innensichten«, wenn es beispielsweise um das Erklären von Beldwirkungen geht, die sich in einer »Außensicht« nur schwer oder gar nicht erschließen. Die Wahl des Begriffspaares »Innensicht« und »Außensicht« ist ein Instrument zur Entschlüsselung einer in der DDR verbreiteten Anspielungskritik. Was auf den ersten Blick unscheinbar und unpolitisch aussieht, muss es bei näherer Interpretation nicht sein. Zeitzeugenschaft betrachte ich als weitere wichtige Methode der fotografiegeschichtlichen Forschung.»Diese Mitteilungen, die wir uns angewöhnt haben, als Hintergrundinformationen zu bezeichnen, sind für ein Verständnis der Fotografiegeschichte, also dafür, wie unter welchen Bedingungen was fotografiert wurde, von großer Bedeutung. Fotografiegeschichte so betrachtet heißt, die Geschichte des Mediums eingebette in die Geschichte einer konkreten Zeit zu sehen. Diese Auffassung ist eine andere als die der reinen Fotografiegeschichte, die grundsätzlich nur das Werk betrachtet. Sie resultiert aus der Berücksichtigung der besonderen, mit den traditionellen Künsten in diesem Umfang nicht zu vergleichenden Situation der Fotografen, die sich aus der komplizierten Verflechtung mit dem ideologischen Bereich und der engen Bindung an die Massenmedien ergibt.« Die angesprochene Verflechtung muss deshalb beachtet werden, weil Auswirkungen auf Arbeitsweise und Qualitätsmaßstäbe von Fotografen damit zusammenhängen. Der persönliche Anspruch im Spannungsfeld gesellschaftlicher Aufträge musste individuell gesetzt werden – zwischen Anpassung und Verweigerung. Eine medienspezifische Erscheinung in der DDR war, dass Mittelmaß und Anpassung häufig gefördert wurden. In den staatlich kontrollierten Tageszeitungen und Zeitschriften musste gesellschaftlich Unbequemes wegzensiert werden, so blieben oft nur klischeehafte Darstellungen zur Veröffentlichung bestimmt. Ein zutiefst unbefriedigender Zustand auch für die Fotografen, sie nicht gefordert wurden, resignierten oder ihre Aktivitäten in den freien Bereich verlagerten. Speziell bei politisch brisanten Themen musste die ideologisch gelenkte Bildberichterstattung zur Propaganda dienen. Dass die Medien in ungeheurem Maße Problemlosigkeit vortäuschten, gestehen nach der Wende Verantwortliche aus dem einstmals engsten Zirkel der Macht ein. Das ehemalige Politbüro-Mitglied Günter Schabowski formuliert in einem Rückblick: »Problembewusstsein hätte zum Zweifel an der Ideologie führen können.« Es galten Prinzipien der Pressearbeit nach Lenin, dass der Journalist kollektiver Organisator, Agitator und Propagandist zu sein hat. Nach dem Willen der Oberen sollte auch der Bildjournalist als Bannerträger einer Weltanschauung fungieren. Schabowski selbst war jahrelang Chefredakteur (1978–1985) des »Neuen Deutschland« (ND), also dem offiziellen Parteiorgan und damit verantwortlich für die auflagenstärkste Tageszeitung der DDR. Er berichtet in seinem 1990 erschienenen Buch (s. Anm. 4) über massive Eingriffe in Presseerscheinungen und Berichterstattung des Fernsehens. Nach Schilderung Schabowskis gab es eine tägliche Besprechung mit dem Generalsekretär der Partei, Erich Honecker, über den Inhalt, die Form und Plazierung von Meldungen, Schlagzeilen und Fotos. So wurden Kommentare angewiesen und redigiert, Weisungen an andere Medien davon abgeleitet und Nachrichten verschwiegen. Das Presseamt der Regierung diente als verlängerter Arm der Abteilung Agitation der sozialistischen Einheitspartei und wurde zur Gängelung anderer politischer Parteien/Organisationen und ihrer Zeitungen missbraucht. Berücksichtigt man diese Macht über die Medien, verwundert es nicht mehr, dass in einer einzigen Ausgabe des »Neuen Deutschland« 40 Honeckerbilder erschienen. Eine »idiotische Übertreibung«, so formulierte es später Schabowski. Die Verantwortlichen beschlich zwar ein ungutes Gefühl, aber sie ließen keine Zweifel am Dogma aufkommen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll Fotografie als Bildkunst stehen (zu Begriffsbestimmung und Abgrenzung künstlerischer Fotografie siehe Kapitel 1.2.). Die Untersuchung von Pressewesen und Bildjournalismus in der DDR wäre eine etwas anders gelagerte, keine unbedingt kunstwissenschaftliche Aufgabe. Die Polyfunktionalität und die Geschichte des Mediums macht jedoch eine strikte Trennung schwer möglich. So ist eine Besprechung der Nachkriegszeit nicht denkbar, ohne auf die Rolle der Reportagefotografie einzugehen. Ähnliches gilt für journalistische Fotografie der 50er/60er Jahre – die ursprüngliche Zweckgbundenheit eines guten Reporterschnappschusses steht dem möglichen Charakter als Kunst nicht im Wege. Außerdem erscheint mir die Profektion von medialen Hintergründen dann notwendig, wenn Zusammenhänge oder Absetzbewegungen zur Autorenfotografie erhellt werden können. Damit soll keine einfache Gegenüberstellung offizielle Darstellungen versus Fotokünstler versucht werden. Berücksichtigt man jedoch die »alltäglichen Bildeinsegnungen« (Jörg Sperling) von Propaganda in Massenmedien, dann vermag das vielleicht zur Sensibilisierung gegenüber der sozialen und künstlerischen Sprengkraft mancher Fotografien beitragen, z.B. einer Aufnahme von Gundula Schulze (Bildtafel 51). Diese zeigt einen offensichtlich geistig behinderten Mann, der vor einem Wachregiment der Nationalen Volksarmee der DDR marschiert. Die Aufnahme enstand 1986 in Berlin. Im Zusammenhang mit dieser Fotografie hat mir Frau Dr. Bruchholz, eine in Berlin lebende Kunstwissenschaftlerin, mitgeteilt, dass dieser Mann häufiger bei den regelmäßig stattfindenden Wachaufzügen zu sehen war. Die Situation ist von der Fotografin nicht inszeniert worden und zeigt ein »Straßenbild«, wie die gesamte Mappe der Aufnahmen von 1980 bis 1990 zutreffend heißt.
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