In meinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten begegneten mir sehr oft sogenannte verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche. Die meisten waren Opfer von Misshandlungen. Eine Form ist die sexuelle Gewalt gegenüber Mädchen. Während meiner Zusatzausbildung u.a. in Kinder- und Jugendtherapie, lernten wir den therapeutischen Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern. Mich interessierte dabei auch die Frage, warum sich Männer an Mädchen vergehen. Des Weiteren lernte ich viele Frauen kennen, die psychische oder physischer Gewalt durch ihren Partner erfahren haben. Das Gewaltthema beschäftigt mich aber auch aus einem persönlichen Grund, denn ohne meine eigene Lebensgeschichte würde ich mich wahrscheinlich nicht mit dem Thema auseinandersetzen. So bin ich als Kind selbst misshandelt worden und daher auch ein Opfer. Allerdings hatte ich die Chance, durch jahrelange Selbsterfahrung meine Geschichte aufzuarbeiten. Aufgrund meiner beruflichen und persönlichen Erfahrung, fühle ich mich verantwortlich, meinen Beitrag zu leisten, um über Ursachen männlicher Gewalt aufzuklären. Und vor allem auch deshalb, weil ich ein biologisches „Schicksal“ habe: als Mann gehöre ich zu dem Geschlecht, welches die kollektive Verantwortung dafür trägt. Aus den genannten Gründen ist es meines Erachtens sinnvoll, von den unterschiedlichen Formen der männlichen Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen auszugehen. Für meine Arbeit war es mir wichtig, an die Täter heranzukommen, um sie nach ihren Lebenserfahrungen bzw. Motiven zu befragen und zwar aus mehreren Gründen:
– Es geht mir darum, zu ergründen, warum Jungen zu Tätern werden und was wir an der Erziehung von Jungen ändern müssen, um eben Lösungsansätze aus der Gewalt zu finden. Und schließlich sind wir alle an der Sozialisation von Jungen beteiligt: Männer und Frauen.
– Die Frauenbewegung hat das Ihre getan. Ihr ist es wohl zu verdanken, dass u.a. sexuelle Gewalt in der öffentlichen Diskussion nicht mehr tabuisiert wird, wie es vielleicht noch vor einigen Jahren war. Es ist daher schon längst an der Zeit, dass wir Männer uns insbesondere mit den Tätern befassen. Jene Aufgabe ist eben »Männersache«. Und ein Pendant zur Frauenbewegung ist ebenfalls überfällig: eine Männerbewegung, die das patriachale System nicht mehr unterstützt und den Mut hat, aus ihrer traditionellen Rolle auszubrechen.
– Als ehemaliges Opfer wie ich es bin, ist man leicht dazu geneigt, z.B. als Pädagoge die Täter als die »Bösen« zu verurteilen, weil man sich selbst mit den Opfern identifiziert. Hiervor möchte ich warnen, weil die eigene Sichtweise eingeschränkt ist, um die andere Seite zu verstehen. Es fällt dann schwer, sich auch mit den Tätern auseinanderzusetzen. Erst mit dem Verstehen beider Seiten können Zusammenhänge erkannt werden. Als Opfer ist es sicherlich schwer, das zu akzeptieren. Aber wenn die eigene „Opfergeschichte“ aufgearbeitet worden ist, ist man in der Lage, auch die Täter zu verstehen. Sonst könnte auch die Gefahr bestehen, dass man seine eigenen Macht- und Gewaltphantasien auf die Täter projiziert und so doch ein „friedlicher“ Mann zu sein scheint. Wie oft habe ich in Diskussionen als auch in meiner beruflichen Praxis erlebt, dass Männer die Täter verurteilen, aber nicht merken oder einsichtig sind, welche Gewalt bzw. Macht sie auf ihre Frauen und Kinder ausüben.
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