Lehrer wie Eltern kennen den Begriff des „Schulschwänzens“ von ihren Kindern, deren Mitschülern oder aus der eigenen Schulzeit. Der Fachbegriff „Schulabsentismus“ findet jedoch erst in neueren erziehungswissenschaftlichen und psychologischen Forschungsberichten Beachtung (vgl. RICKING, 1997) und ist als zusammenfassender Oberbegriff aller Formen zu verstehen, die den Schüler vom Schulbesuch abhalten können. Das bedeutet jedoch nicht, daß sich Soziologen, Erziehungswissenschaftler oder Psychologen nicht bereits des Themas der Schulverweigerung angenommen hätten. Eine Literatursichtung gibt hier Einblick in die Vielzahl von Annäherungsmöglichkeiten zu diesem Thema, auch mit Hilfe von evaluierenden Fragebögen oder dem Einbezug des gesamten Lebensumfeldes der Schüler und deren Familien.
Eine neue Annäherung an das Problem Schulabsentismus macht deutlich (vgl. NEUKÄTER / RICKING, 1997 und 1998), daß die gesamte Problematik von vielen unterschiedlichen inner- und außerschulischen Variablen abhängt, die zugleich dem internationalen Vergleich entnommen sind. Andererseits zeigt die wissenschaftliche Forschung zum Schulabsentismus auf, daß vielfältige und zum Teil sehr unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, theoretische Bezüge und Menschenbildannahmen zwar in ihrer Form zu differenzierten Ergebnissen und somit Begriffen kommen, diese jedoch im Vergleich zu allen anderen Resultaten tatsächlich wenig präzise Schlußfolderungen zulassen, gerade um im weiteren daraus präventive Maßnahmen zu entwicklen (vgl. RICKING, 1997, S. 230). Der Begriff Schulabsentismus ist der internationalen Diskussion entlehnt und charakterisiert den interessierenden Sachbereich in anerkannter Weise, wobei darunter alle Formen des unerlaubten Fernbleibens von der Schule bezeichnet werden. Gleichwohl gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über mögliche Ursachen, wie im nachfolgenden dargelegt wird.
Die bis zur Gegenwart sich verändernde Bildungslandschaft, der Wandel von sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Strukturen, gerade auch bedingt durch die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands 1989, konnte in der aktuellen Bearbeitung von Schulversäumnissen an deutschen Schulen noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Einstellung von Schülern gegenüber ihrer Lebenswelt trägt auch zu einer anderen Haltung gegenüber der Institution Schule bei, bewertet Fernbleiben anders als vorher und ist auch losgelöster von Eltern und Familien als bei früheren Generationen. Mit einer Lebensorientierung wandelt sich auch die Berufsorientierung, was für Bildungseinrichtungen, Wirtschaft und Politik bedeutende gesellschaftspolitische Aspekte mit sich bringt. In meiner vorgelegten Arbeit soll nach Definition der Ursachen und Formen des unerlaubten Fernbleibens von der Schule darauf eingegangen werden, inwiefern das absentische Verhalten in dem Spannungsfeld Schule – Familie – Gesellschaft ihre Wurzeln finden könnte. Die sich für mich daraus ergebenden Problemlösungsansätze in Prävention, Intervention und Rehabilitation bilden den Schluß meiner Darstellung. Anhand von zwei Beispielen möchte ich praktische Lösungsversuche aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt aufzeigen, die jeweils in einer Schule und einer Betreuungseinrichtung für nur bedingt gruppenfähige und stark schulaversive Schüler stattfinden.
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