Ich weiß nicht, wann ich damit begann, die Neujahrsgrüße an meine Klassenkameraden in Verse zu fassen. Anfangs waren es Vier- oder Sechszeiler, und ich schrieb sie per Hand auf Glückwunschkarten, wobei es schon vorkommen konnte, daß die zuletzt geschriebenen Verse nur noch entfernte Ähnlichkeit mit dem Original hatten. Wann ich auf die Idee kam, diese poetischen Spielereien für die Nachwelt zu erhalten, weiß ich ebenfalls nicht mehr. Erst 1987 findet sich die Abschrift eines »Jahresspruchs« in meinem Tagebuch. Später, als die Vervielfältigung per Kopiergerät das zeitaufwändige »Handgeschreibe« ersetzte, sammelte ich diese Sprüche, die ich nun all denen empfehle, die Lust am Gereimten empfinden. HINWEIS: In diesem garstigen Büchlein gilt die Meiersche Rechtschreibung.
Kalenderspruch 1989 (Auszüge)
Nun ist sie weg, die viel geschmähte Mauer,
der Januswall aus Stein und Stacheldraht.
Die einen tanzen, andre tragen Trauer;
wer liegt da, händereibend, auf der Lauer?
Im nächsten Jahre sind wir schlauer
und wissen, was die Uhr geschlagen hat.
Und diese Uhr wird nicht aus Ruhla stammen;
sie kostet auch nicht achtundzwanzig Mark.
Brillanten werden auf dem Armband flammen;
man wird, was war, in Grund und Boden rammen,
und was uns wertvoll schien, wird man verdammen;
von nun an gilt: Nur wer was hat, ist stark.
Geprägter Adler wird uns korrumpieren;
Begrüßungsgeld vergiftet die Moral.
Man wird uns anfangs noch jovial hofieren,
jedoch: Sobald sie eine Mark verlieren,
wird Bruderkuß zum Bruderneid mutieren;
wer oben sitzt, der steigt nicht gern zu Tal.
Kalenderspruch 1992 (Auszüge)
Ob Dollar, Lira, Franc und Gulden,
ob Deutsche Mark, ob Krone, Pfund:
Die ganze Welt lebt nur von Schulden.
Ich finde das höchst ungesund.
Doch wag’ ich nicht, den Stab zu brechen:
Das neue Jahr steht vor der Tür
und scheint prophetisch zu versprechen:
Die Schulden kommen auch zu dir!
Wo Staaten auseinanderbrechen,
die Not und Krieg einst fest verband,
hör’ ich die Kohls von Fortschritt sprechen;
man spricht halt Kohl, fehlt’s an Verstand.
Kalenderspruch 1996 (Auszüge)
An diesem Jahre gibt es nichts zu meckern!
Fast jeder Sechste braucht nichts mehr zu tun.
Die Wohlstands-Center schießen aus den Äckern;
man muß nicht klotzen, braucht nicht mal zu kleckern;
man holt sich »Stütze«, um sich auszuruhn.
Wo Zuckerrüben wuchsen oder Weizen,
da zieht ein Glaspalast wie ein Magnet
mit fast fatal verführerischen Reizen
selbst denen, die mit jedem Groschen geizen,
die letzte müde Mark aus dem Jackett.
Kalenderspruch 1999 (Auszüge)
Nun haben wir auch dieses Jahr erschlagen,
obwohl es doch ein ganz besondres war!
Was werden wir den Ur-Ur-Enkeln sagen,
wenn sie uns Augenzeugen-Opas fragen:
Wie war das damals, im Jahrtausendjahr?
Die Menschen waren, wie sie immer waren,
wird resignierend meine Antwort sein.
Sie taten wie seit Hunderten von Jahren
noch immer so, als gälten die Gefahren
ausschließlich für den Artenschutzverein.
Die gift’gen Schwaden ihrer Böllerschüsse
verhüllten Haus und Hof und Strauch und Stern;
sie aalten sich im Whirlpool der Genüsse,
verschenkten hirn- und herzlos fade Küsse;
des Nächsten Not lag, Glück sei Dank, sehr fern.
Die Erde bebte, tausendfach geschändet;
der zahme Bach schwoll zur Jahrhundertflut;
die Wüste wuchs, wen kümmert’s, wo sie endet?
Durchs wuchernde Ozonloch grell geblendet,
sonnt sich der Mensch in eitel Übermut.
Kalenderspruch 2003 (Auszüge)
PROLOG
Herrschaft des Volkes = Demokratie?
Welch eine infame Lüge!
Denn: Völker der Erde, gäbe es sie,
diese gepriesene Demokratie,
dann gäbe es keine Kriege.
EPILOG
Und fragt Ihr mich, den Schwarzen Philosophen,
nach ein paar hausgemachten Deutschlandstrophen,
so bitt’ ich Euch, Ihr Freunde, habt Geduld.
Nicht ich, der Deutsche Bundestag ist schuld.
Ich äuß’re mich zu unserm eignen Land,
sobald es klappt mit Maut und Dosenpfand...
Kalenderspruch 2007 (Auszüge)
PROLOG
Ich widme diese allerletzten Zeilen
der allerersten deutschen Kanzlerin,
um ihr, gereimt, persönlich mitzuteilen,
wie tief enttäuscht ich »Ossi« von ihr bin.
EPILOG
Ich werde keinen Jahresspruch mehr schreiben,
was immer in der Welt geschehen mag.
Gedanken, die ich aufschrieb, werden bleiben.
Bis morgen? Oder bis zum Jüngsten Tag?
Ich habe manchen düstren Vers gesungen,
aus eigner, nicht aus Nostradamus’ Hand.
Die meisten sind wohl ungehört verklungen.
Propheten gelten nichts im eig’nen Land.
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Und schon im Jahre 2005 beschrieb MEIER in kurzen und kritischen Worten,
was man von der katholischen Kirche zu halten habe:
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Habemus papam! Wir sind wieder wer!
Da kann man nicht drüber hinwegsehn.
Der Papst ist ein Deutscher!!! Was wollen wir mehr?
Und obendrein kommt er aus Bayern daher,
der Benedikt Numero sechzehn.
Der schlurft schon jetzt wie ein steinalter Mann
(statistisch im Sterbealter),
doch hört man sich seine Predigten an
(vorausgesetzt, daß man Lateinisch kann),
dann klingt es nach Mittelalter.
Ich habe Dogmatiker niemals gemocht,
wie immer sie sich auch nannten.
Sie haben die Menschen unterjocht,
die Kühnsten gefoltert und eingelocht,
sofern sie sie nicht verbrannten.
Ich stimme nicht ein in die Papsteuphorie
der frömmelnden Katholen.
Die Schäfchen schwelgen in Bigotterie,
die Hirten frönen der Päderastie –
sie sollte der Teufel holen.
Walter Meier: Vom Meister des Sports zum Meister des Worts
PROLOG zum PROLOG (geheimes Jahr)
Ich wollte diesem Jahr ein Loblied singen,
verzeiht mir, Freunde, daß es nicht gelang.
Ich kann, wo schrille Dissonanzen klingen,
den Mißklang nicht in Harmonien zwingen.
Mein Jahresspruch scheint mir wie Schwanensang.
Denn Schwäne singen, heißt es, wenn sie ahnen,
daß ihrer kühnen Schwingen Kraft erschlafft,
als wollten sterbend sie uns Menschen mahnen:
Kehrt um! Ihr wandelt längst auf falschen Bahnen!
Apoll verlieh den Schwänen Seherkraft.
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