VORWORT
Auf dem Deckel eines meiner frühen Tagebücher steht der altkluge Satz: NICHTS IST DEM GREIS SO LIEB, WIE DAS, WAS ER ALS KNABE SCHRIEB. Heute, siebzig Jahre später, im „gesegneten Alter“ von 82 Jahren, füge ich hinzu, daß das während meiner Sturm- und Drang-Zeit Geschriebene nicht weniger aufschlußreich und unterhaltsam wäre, wenn ich es denn lesen könnte. Die mein Leben begleitende und leitende Schicksalsgöttin hat es mit mir nicht immer leicht gehabt, aber sie hat es, alles in allem, doch stets gut mit mir gemeint. Bis auf die Tatsache, daß sie mich zum Schluß noch mit der altersabhängigen Makula-Degeneration schlug. Glücklicherweise bin ich noch nicht gänzlich erblindet, vermag jedoch Geschriebenes, Gedrucktes, Gemaltes und Fotografiertes nicht mehr zu erkennen. Was mir die meisten Freuden bereitete, muß ich entbehren. Das Lesen und Schreiben, das Pilzesuchen und nicht zuletzt das lustvolle Betrachten hübscher Mädchenbeine unterm Miniröckchen. Die Jahre, da der Mensch von Hoffnungen getrieben wird, gehen gar zu schnell vorüber. Wohl dem, der diese Zeit so nutzte, daß er den Rest seiner Tage mit Erinnerungen füllen kann . . . Das INHALTSVERZEICHNIS und eine kleine Textauswahl dieser Erinnerungen findet der Leser im 27seitigen Minititel. ACHTUNG: Es gilt die MEIERsche Rechtschreibung!
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WALTER MEIER, Jahrgang 1927, geboren im Elbedorf Rogätz, wohnhaft in Halle (Saale), Volks- und Napola-Schüler, Kriegsteilnehmer und Gefangener, Gärtnerlehrling, Neulehrer, Studentenweltmeister im Zehnampf, Dritter bei der Europameisterschaft, zweimaliger Olympiateilnehmer, später Mehrkampftrainer und Berufsschullehrer, entwickelte sich vom „Meister des Sports“ zum „Meister des Worts“. Schon 1964 veröffentlichte der Autor sein erstes Buch „Als Sportler um die Welt“, und er schrieb Artikel und Kurzgeschichten für die lokale Presse und den „Eulenspiegel“. Erst als Rentner besann er sich seines literarischen Talents und legte in „Interview mit mir selbst“ (2007) ein höchst lesenswertes Buch vor. Darin verknüpft er seine Ansichten zur Welt von heute mit visionären Ideen; der Mix mit Biographischem gelingt. Im Gedichtband „Gereimtes über Ungereimtes“ (2009) dokumentiert der Autor kritisch und in Form von Briefen an seine Klassenkameraden zwanzig Jahre deutsch-deutsche Geschichte. Schließlich offenbart der Verfasser im Bekenntnis „Wie ich geheiratet wurde“ den immer auch humorvollen MEIER. Zumeist sehr privat, überzeugt er satirisch und poetisch als Chronist des eigenen wie des Lebens vieler anderer Zeitgenossen.
Ausug aus „Wie ich geheiratet wurde" (Eine dem besseren Verständnis dienende unmoralische Vorgeschichte):
Wir kannten uns aus unserer Studentenzeit. Sie hieß Thea und war die einzige unter Tausenden von Studentinnen, die Zöpfe trug. Und was für welche! Zöpfe waren zu jener Zeit längst aus der Mode. Sie verrieten ländliche Herkunft und ließen Jungfräulichkeit vermuten. Beides stand in Studentenkreisen nicht sonderlich hoch im Kurs. Ich hätte dieses bezopfte weibliche Wesen trotz seiner tollen sportlichen Figur gewiß völlig aus meinem Gedächtnis entlassen, wäre es mir nicht nach vielen Jahren zufällig über den Weg gelaufen, zopflos und in Schwarz. Schwarz stand ihr gut. Aber schwarz bei herrlichem Sonnenschein und zur Erdbeerzeit?
Wie geht’s? Wie steht’s? Was macht die Schule? Was macht die Liebe? Was man halt so fragt, wenn man sich nichts zu sagen hat.
Es sei alles bestens, erfuhr ich. Allerdings hätte sich ihr Mann nach sechswöchiger Ehe mit dem Motorrad zu Tode gefahren. Naja, das läge schon lange zurück; Schwarz trüge sie eigentlich nur noch wegen der Schule.
Ich gestehe, daß mir die Neigung zu jungen Witwen innewohnt. Daß sich meine Frau just zu jener Zeit zur Kur befand, war ein Schelmenstreich Amors. Thea wohnte ganz in meiner Nähe, und es war erstaunlich, daß wir uns während der vielen Jahre nicht ein einziges mal begegnet waren. Wir verabredeten uns noch für den gleichen Abend.
Statt im Schwarzen empfing sie mich im engen Weißen. Ich überreichte ihr als Mitbringsel ein Körbchen Erdbeeren (eigene Ernte) und eine Flasche Reiterlikör. (Kein Schelm, wer Arges dabei denkt!!) Thea lächelte in sich hinein und zog mich ins Wohnzimmer, wo auf festlich gedecktem Tisch eine blütenumkränzte Flasche... (ja, sie vermuten richtig!) Reiterlikör thronte. (Ich kann nichts dafür. Das launische Leben schreibt mitunter derart kitschige Geschichten.) Sich den Fortgang des Abends vorzustellen, überlasse ich der Phantasie des Lesers. Ich beschränke mich auf die originalgetreue Wiedergabe des Dialogs, den Thea begann, nachdem sie aufmerksam und belustigt zugeschaut hatte, wie ich versuchte, möglichst unauffällig jenes winzige Päckchen aus der Jackett-Tasche zu nesteln, von dem zu jener Zeit das SEIN oder NICHTSEIN abhing. Die „Pille“ war noch nicht erfunden.
Thea (mit einem Fingerzeig auf jenes Päckchen): „Brauchst Du nicht. Ich will ein Kind.“
Ich (schockiert, stotternd): „Ich bin verheiratet!“
Thea: „Das weiß ich.“
Ich: „Ich bin Vater von vier Kindern! Und alle von der gleichen Frau.“
Thea: „Auch das weiß ich.“
Sie legte eine kurze Pause ein, als suche sie nach einer korrekten, unmißverständlichen Formulierung. „Ich will keinen MANN, ich will ein KIND!“ Sie betonte jedes einzelne Wort.
Ich: „Und warum ausgerechnet von mir?“
Die Gründe, weshalb Frauen sich ein Kind wünschen, sind vielgestaltig und tendieren zwischen simpel und hochgradig-kompliziert. Thea hatte mich zum Vater ihres Kindes aus drei Gründen auserwählt:
1. Weil du so ’schönlange’ Beine hast.
2. Weil du klug, schlagfertig und sportlich bist und
3. Weil du so herzhaft lachen kannst.
Ich: „Und das reicht?“
Thea: „Dicke!“
Ich: „Und Alimente?“
Thea: „Nie wird jemand den Namen des Vaters unseres Kindes erfahren, und ich werde auch niemals nur einen Pfennig von dir verlangen. Sobald es geschnappt hat und ich sicher bin, schwanger zu sein, trennen sich unsere Wege.“ Das war ernst gemeint und klang nach Schwarzer Witwe. Und nun frage ich euch, Männer in Halle, Männer in Deutschland, Männer der Welt! Hand aufs Herz und nicht gelogen! Wer von euch hätte bei einem solchen Angebot Nein gesagt? Ich sage es gleich und ohne Umschweife: Unsere Wege trennten sich nicht . . .
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