Ist aus Brecht nicht längst Germanistik geworden? Dafür spricht der Umfang der Sekundärliteratur, aber auch die Tatsache, dass sein Weltruhm verblasst ist, spätestens seit der Sozialismus, Motiv und Telos seines Schaffens, an sich selbst gescheitert ist. Wurde dieser Dichter überschätzt, weil so viele, die über ihn schrieben oder seine Stücke aufführten, seine Irrtümer und Einseitigkeiten teilten? Lohnt es sich, unter den Trümmern des realsozialistischen Zusammenbruchs nachzusehen, was von seinem Werk überlebt hat? Müsste man dieses Werk nicht in Schutz nehmen vor denen, die sich zu Unrecht darauf beriefen und es missbrauchten? Man kann den Sozialismus als eine (schöne) Utopie betrachten und an ihr festhalten oder darüber nachdenken, ob nicht die sozialistische Praxis erst den Sozialismus zur Utopie gemacht hat. Von letzterer Überlegung lässt sich die vorliegende Arbeit leiten. Brechts Werk wird als Moment dieser Praxis und der Dichter selbst als politisch Verantwortlicher ernst genommen, der die Politik immer über die Kunst gestellt hat und dem es nie in den Sinn gekommen wäre, das Reich der Kunst vor den Ansprüchen und Zumutungen der Politik zu verteidigen. In den letzten drei Stücken, die Brecht noch vollenden konnte, geraten die Protagonisten auf spezifische Weise in Widerspruch zu den Zwängen und Forderungen der politischen Macht. In der »Antigone« stellt sich ein Individuum gegen die Staatsmacht; in den »Tagen der Commune« erobert ein Kollektiv von Revolutionären die Macht und steht vor der Frage, wie es diese gebrauchen soll; in »Turandot« schließlich sind die Intellektuellen Funktionäre und Opfer der Macht zugleich. In allen drei Stücken greift Brecht auf literarische Vorlagen, tradierte Figuren und Motive zurück, um sie zu bearbeiten. Den Beweggründen und Zwecken dieser Bearbeitungen ist die vorliegende Arbeit nachgegangen.
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