Mit seiner Absicht »... durch Vernunftschlüsse und den historischen Fakten gemäß darzutun, dass die Natur der Vervollkommnung der menschlichen Fähigkeiten keine Grenze gesetzt hat; ...dass die Fortschritte dieser Fähigkeit zur Vervollkommnung, die inskünftig von keiner Macht, die sie aufhalten wollte, mehr abhängig sind, ihre Grenzen allein im zeitlichen Bestand des Planeten haben ...«, formuliert Condorcet in seinem Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes eine der »Programmideen« der französischen Aufklärung: die Vorstellung von einer unbegrenzten Perfektibilität des Menschen, eines »progressisme«, dessen Gesetz nicht nur die gesamte Menschheit umfasst, sondern der als Prinzip der Geschichte selbst innewohnt. Von den brillanten Ergebnissen der Naturwissenschaften glaubten die Philosophen der Aufklärung auf die unbegrenzte Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft schließen zu können. Durch die freie und kritische Betätigung der Vernunft – so meinten sie – könne sich der Mensch aus seinen politischen und religiösen Abhängigkeiten befreien und zu seiner unendlichen Vervollkommnung fortschreiten. Mit dieser Auffassung lösen sich die Philosophen der Aufklärung von dem traditionellen zyklischen Geschichtsbild und ersetzen es durch ein progressives, dynamisches Konzept: das Konzept des stetigen Fortschritts und der Perfektibilität. Seinen literarisch-philosophischen Niederschlag findet dieser bedingungslose Fortschrittsglaube in Entwürfen glänzender Zukunftsbilder, die allerdings im Gegensatz zum fiktiven Niemandsland der traditionellen Utopie von den Aufklärern in Zeit und Raum der aktuellen menschlichen Geschichte verlegt werden: ihre Modelle des Projektes Zukunft werden gedacht als aus den Gesetzen der Geschichte und des Fortschrittsprinzips deduzierbar und somit im Rahmen der menschlichen Entwicklung realisierbar. Vor diesem philosophischen Hintergrund ist auch Condorcets Werk Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes zu sehen. Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe, anhand des Entwurfs einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, in dem Condorcet gewissermaßen den Fortschrittsgedanken der Aufklärung zur Vollendung bringt, das Perfektibilitätskonzept der Fortschrittsphilosophie exemplarisch zu illustrieren. Im Anschluss daran soll Benjamin Constants Aufsatz zum gleichen Thema »Über die Perfektibilität des Menschengeschlechts«, skizziert werden. Constant, ein jüngerer Zeitgenosse Condorcets, gilt in mancher Hinsicht als Erbe aufklärerischen Gedankenguts, insbesondere in Bezug auf das Perfektibilitätskonzept – eine Tatsache, die durch einen kurzen Vergleich beider Schriften belegt werden kann (siehe unter Abschnitt 4.). Demgegenüber soll in einem weiteren Abschnitt gezeigt werden, dass Constant im Gegensatz zum säkularen Denken der Aufklärung den Fortschritts- und Perfektibilitätsgedanken auch auf den Bereich der Religion überträgt.
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