Die vorliegende Arbeit wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen. Dies liegt jedoch weniger an der Originalität der Untersuchungsmethode als an dem Untersuchungsgegenstand, der Fachsprache der Wirtschaft in der heutigen russischen Sprache. In der Tat ist auf dem Gebiet der Wortbildung eine schier unüberschaubare Publikationsflut zu verzeichnen, die nach und nach auch die letzten weißen Flecken abdeckt. Dagegen trägt die heutige ökonomische Fachsprache deutlich die Spuren des Wandels, der im Jahre 1985 in der Sowjetunion einsetzte und sukzessiv alle Bereiche des Lebens erfasste. Nicht zu übersehen war jedoch, dass gerade der Bereich der Wirtschaft größere Beharrungskräfte zeigte als andere Bereiche, wie Wissenschaft, Kunst und sogar die Politik. Dies hing mit der noch weit in die Perestroika-Zeit hineinreichenden Überzeugung von einer Reformierbarkeit des bestehenden ökonomischen Systems zusammen. Die Einsicht in die Unmöglichkeit dieses Unterfangens führte schließlich auf dem Gebiet der Wirtschaft zu einer um so heftigeren, ja fast revolutionären Veränderung gegen Ende der 80er Jahre, die ihren Höhepunkt etwa zeitgleich mit der Auflösung der Sowjetunion Ende des Jahres 1991 zeigte. Natürlich konnten die Veränderungen in Gesellschaft und Politik, insbesondere in der Wirtschaft, nicht spurlos an der russischen Sprache vorübergehen. Das Aufkommen neuer Realien, neuer Begriffe, die »Rehabilitierung« von Referenten, die schon im vorrevolutionären Russland bekannt und benannt waren, und nicht zuletzt das verstärkte Interesse an wirtschaftlichen Begriffen und Zusammenhängen des »Westens« zeitigten eine große Menge von lexikalischen Neubildungen, semantischen Verschiebungen bestehender und bekannter Lexeme und die Wiederaufnahme schon verloren geglaubten Wortgutes. Die Fachsprache der Ökonomie wurde als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, da sich hier die beste Arbeitsbasis konstatieren lässt, was Sammlungen neuerer und neuester Wortbeispiele betrifft. Die Vielzahl der Publikationen dieses Bereiches lässt sich sicherlich durch das finanzielle Interesse der Herausgeber erklären, ein Umstand, der sich gelegentlich auch in der Qualität der Wörterbücher niederschlägt, da sie doch oft den Charakter von sog. Schnellschüssen tragen. Dünner ist dagegen die Materialbasis für andere Subsprachen des Russischen, speziell der Lexik dieser Subsprachen. Die unter dem Schlagwort »Demokratisierung der Sprache« aufgeführten Entwicklungen, die sich vor allem auf das Eindringen von Nichtstandardvarianten des Russischen in Bereiche, die sonst der Standardsprache weitgehend vorbehalten waren, beziehen, finden ihren Niederschlag erst allmählich in Wörterbüchern resp. Wörtersammlungen zu Subsprachen, wie Sprache der Hippies, Lagersprache, Gaunersprache, Jugendsprache usw. Bei der Untersuchung des vorliegenden Materials wird folgender Weg beschritten: Zunächst wird in einem kurzen Exkurs den Fragen »Was ist Sprachwandel?« und »Warum kommt es zu Sprachwandel?« nachgegangen. Die möglichen Antworten auf die Frage nach dem »Warum« werden dann auf ihre Plausibilität in Hinblick auf den Wandel innerhalb der russischen Sprache, insbesondere der wirtschaftlichen Fachsprache, abgeklopft. Der nächste Schritt besteht in der Abgrenzung des Gegenstandsbereiches »wirtschaftliche Fachlexik«. Hierbei sind mehrere Etappen zurückzulegen. Zunächst werden Fachsprachen als Subsprachen innerhalb der Nationalsprache von anderen Subsprachen abgegrenzt. An dieser Stelle spielt auch die Abgrenzung vom Funktionalstil eine Rolle: Dieses Problem soll vor allem über die Frage nach der Systemhaftigkeit dieser Varietäten diskutiert werden. Nach der Abgrenzung von anderen Varianten wird anschließend die innere Struktur von Fachsprachen, vor allem der Fachsprache der Wirtschaft, untersucht. Hieran schließt die spezielle Charakterisierung der (ökonomischen) Fachlexika, zum einen aus diachroner Perspektive, zum anderen aus dem synchronen, strukturellen Aspekt. Die eigentliche Analyse findet in den Kapiteln vier und fünf statt. Im erstgenannten wird die gewählte Methodik expliziert, die im darauffolgenden Kapitel angewandt wird. Analysemethode ist das applikativ-generative Modell (AGM) von Ifevzy und Cj,jktdf. Die anschließende semantische Analyse soll jedoch von bekannten Vorbildern, die bisher in Verbindung mit dem AGM appliziert wurden (vgl. Jachnow 1978), abweichen. Erkenntnisse verspricht sich der Autor dieser Studie über strukturelle Besonderheiten von Fachlexika, über Entwicklungstrends innerhalb der rezenten russischen Wirtschaftslexika und eventuell über semantisch-strukturelle Korrelationen bei Neubildungen im Rahmen produktiver Wort- und Benennungsbildungstypen. Besonderes Gewicht liegt auf der Analyse der Spezifik von Mehrwortbenennungen und deren Bildung, vor allem im Bereich der Fachsprache. Die Kritik an der allgemeinen Vernachlässigung dieser komplexen Benennungseinheiten, auch im fachsprachlichen Bereich, soll abschließend in Vorschlägen zur Konzeption von Glossaren, die auch diese Elemente berücksichtigen, münden.
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